Warum PISA und nicht TIMSS, IGLU, ICILS oder FURS? Nun ja, ein Grund liegt auf der Hand: Von den letzten vier hat der Großteil der Menschen noch nie etwas gehört. Dass der letzte Test frei erfunden ist, ist auch niemandem aufgefallen.
Notwendig, aber nicht hinreichend
Um die Jahrhundertwende löste der PISA-Schock in Deutschland eine Welle von Schulreformen aus und noch heute erhält PISA eine große mediale Aufmerksamkeit. Die Studie misst alle drei Jahre die Kompetenzen einer repräsentativen Gruppe an 15-Jährigen bzgl. Leseverständnis, Mathematik und Naturwissenschaften. Sie fragt nicht konkretes Schulwissen ab, sondern untersucht, inwiefern Schüler ihr Wissen in lebensnahen Situationen anwenden können.
Viele Menschen mögen protestieren: »Schule und Bildung soll aus mehr bestehen als Lesen, Mathe und den Naturwissenschaften. Wo bleibt Kunst, Musik, Geschichte?« Sie haben recht. Ein gutes Schulsystem sollte ganzheitliche Bildung bieten und nicht nur wirtschaftlich verwertbare Kompetenzen fördern. In den USA, wo jedes Jahr die Mathe- und Englischleistungen in standardisierten, folgenreichen Tests geprüft werden, schaffen viele Schulen Fächer wie Musik und Kunst ab, während »verwertbare Fächer« mehr und mehr Unterrichtszeit erhalten. Davon sind wir in Deutschland zum Glück weit entfernt.
Die PISA-Ergebnisse können also nicht als Messlatte für eine umfassende Allgemeinbildung gesehen werden. Sie aus diesem Grund zu ignorieren wäre aber ein Fehler. Ein Schulsystem, dessen Schülerinnen und Schüler bei den von PISA gemessenen Grundkompetenzen Schwächen aufweisen, kann nicht von sich behaupten, hochwertige Bildung zu liefern. Erfolgreiches Vermitteln von Basiskompetenzen ist – wie meine Kolleginnen und Kollegen im Mathestudium sagen würden – notwendig, aber nicht hinreichend für gute Schule.
Ein Ranking reicht nicht
Berechnet man den Durchschnitt der Leistungen in den drei Kompetenzbereichen, so ergibt sich folgendes Ranking (mit der in 2015 erreichten Punktzahl):
- Singapur (552)
- Hongkong (536)
- Japan (529)
- Kanada (527)
- Macau (527)
- Estland (524)
- Taiwan (524)
- Finnland (523)
- Südkorea (519)
- China (514)
Der Platz im Ranking ist eigentlich nicht aussagekräftig, denn in den letzten Jahren wurden Shanghai und Macau (eine Sonderverwaltungszone Chinas) manchmal separat und manchmal als zu China gehörend im Ranking aufgeführt. Dementsprechend rutscht ein Land bei gleichbleibender Leistung im Ranking hoch oder runter. Tatsächlich liegt Deutschland mit 508 Punkten im oberen Mittelfeld des PISA-Rankings. Mit dem oberen Mittelfeld sollten wir uns aber nicht zufriedengeben.
Doch die Frage bleibt: Wollen wir unser Schulsystem ausschließlich auf Hochleistung ausrichten? Genau wie Bildung aus mehr besteht als nur Lesen, Mathe und Naturwissenschaften, haben wir mehr Ansprüche an unser Schulsystem als das bloße Vermitteln von Kompetenzen.
Ein gutes Schulsystem soll nicht nur leistungsstark, sondern auch gerecht sein: Erfolg in der Schule soll nicht davon abhängen, ob die Eltern Akademiker sind oder genug Geld für Nachhilfe haben – auch nicht davon, ob man Moritz oder Murat heißt.
Im besten Fall ist das Schulsystem auch effizient: Jeder Euro erzielt die maximale Wirkung.
Im Gegensatz zu etwas Vagem wie Allgemeinbildung lassen sich Ansprüche wie Gerechtigkeit und Effizienz etwas leichter messen. Das National Center on Education and the Economy (Sitz: USA) hat dazu eine interessante Grafik veröffentlicht, welche unterschiedliche Länder anhand der drei Kriterien Leistung (»PISA performance«), Gerechtigkeit (»equity«) und Effizienz (»system efficiency«) kategorisiert. Die Länder, die ich auf meiner Reise besuche (Estland, Finnland, Singapur und Japan), erfüllen alle mindestens zwei der drei Kriterien.
Asien beherbergt sieben der Top 10 der leistungsstarken Schulsysteme. Eine reine Asien-Tour wäre bestimmt spannend, aber die Frage, was ich für das deutsche System mitnehmen kann, wäre nur unzufrieden beantwortet. Deshalb will ich Länder besuchen, die zwar allesamt in den Top 10 liegen, aber in sehr unterschiedlichen Regionen der Welt zuhause sind. Denn ich will erfahren, wie Bildungserfolg unabhängig von der Kultur eines Landes gelingen kann.