Eine Reform des Referendariats sieht anders aus

Beim Referendariat schlägt das Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK den falschen Weg ein.

Deutschland gehen die Lehrkräfte aus. Und bundesweit fragt sich die Bildungspolitik: Was muss geschehen, um dem Mangel langfristig zu begegnen? Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), das wissenschaftliche Beratergremium der Kultusministerkonferenz, hat dazu im Dezember ein umfangreiches Gutachten vorgelegt – mit einem Schwerpunkt auf Verbesserungen in der Lehrerbildung. Im März wollen die Kultusministerinnen und Kultusminister darauf aufbauend einen Beschluss fassen.

Der Fokus auf die Lehrerbildung ist berechtigt: Eine Studie des Stifterverbandes hat im Juli 2023 gezeigt, dass von den bundesweit rund 52.500 Studienanfängern im Lehramt nur rund 28.300 den Vorbereitungsdienst absolvieren, also nur etwas mehr als die Hälfte. Wir verlieren zu viele potenzielle Lehrkräfte auf dem Weg in den Beruf.

Ist die zweiphasige Ausbildung noch zeitgemäß?

Im internationalen Vergleich ist unsere starke Trennung von theoretischer und praktischer Lehrkräfteausbildung eine Ausnahme. Das deutsche Modell der Zweiphasigkeit gehört auch zu den längsten der Welt. In vielen anderen Ländern sind die Praxisanteile in das Studium integriert. Zum Beispiel in Finnland: Dort sind sogenannte Übungsschulen für die schulpraktische Lehrerausbildung zuständig. Jede Übungsschule ist einer Universität zugeordnet, ein Referendariat gibt es nicht. Stattdessen sind die Praxisphasen – von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten – über das gesamte fünfjährige Studium verteilt. Die Studierenden können das, was sie vormittags in der Schule erlebt haben, nachmittags im Seminar diskutieren. Sie bringen das, was sie an der Hochschule gelernt haben, nicht erst Jahre später, sondern sofort in den Unterricht ein.

Aufgrund des Lehrkräftemangels arbeiten bereits heute etliche Masterstudierende als bezahlte Vertretungskräfte an Schulen.

Auch Singapur, dessen Schulsystem bei der PISA-Studie 2022 den ersten Platz belegte, setzt statt Referendariat auf eine Lehrkräfteausbildung mit dualen Elementen. Da Singapur sehr viel stärker als Deutschland in die lebenslange Professionalisierung der Lehrkräfte investiert, kann das System einen möglichen Entwicklungsbedarf nach der Ausbildung gut auffangen.

Die SWK stellt sich gegen ein duales Studium

In ihrem Gutachten stellt sich die SWK jedoch gegen eine Lehrkräfteausbildung, die Theorie- und Praxisphasen integrativ verbindet. Sie empfiehlt zwar ein phasenübergreifendes Curriculum, um inhaltliche Doppelungen zu vermeiden, sowie den Einsatz von Studienseminarleitungen im Schulpraktikum im Master. Das sind sicherlich sinnvolle Vorschläge. Eine tatsächliche Erhöhung der Praxisanteile im Studium sucht man in den Empfehlungen der SWK allerdings vergeblich. In diesem Punkt weicht die SWK von anderen Forschungsgremien wie dem Wissenschaftsrat der Bundesregierung ab, der eine stärkere Verzahnung von Theorie- und Praxisphasen – langfristig auch die Integration des Referendariats in das Lehramtsstudium – empfiehlt.

Das Hauptargument der SWK ist der „kumulative Kompetenzaufbau“ – kurz: Praktisches Handeln muss auf wissenschaftlich fundiertem Wissen aufbauen. Natürlich ist es nicht sinnvoll, Lehramtsstudierende gleich zu Beginn ihres Studiums ohne Vorbereitung und Fachwissen selbstständig unterrichten zu lassen. Fakt ist aber auch: Aufgrund des Lehrkräftemangels arbeiten bereits heute etliche Masterstudierende als bezahlte Vertretungskräfte an Schulen. Häufig fehlt aber eine professionelle Begleitung durch Schule oder Hochschule – ungünstige Unterrichtsgewohnheiten verfestigen sich. Eine teilweise oder vollständige Integration des Referendariats in das Masterstudium könnte hier Abhilfe schaffen – wie sie beispielsweise in Baden-Württemberg ab diesem Herbst erprobt wird und in der Berufsschullehrkräfte-Ausbildung vielerorts bereits existiert.

Eine Verzahnung von Theorie und Praxis erfordert eine stärkere Kooperation zwischen Universität und Schule.

Perspektivisch könnten Lehramtsstudierende bereits im Bachelorstudium als bezahlte Förderkräfte in der Kleingruppenförderung eingesetzt werden – auch um die regulären Lehrkräfte zu entlasten. Im Laufe ihrer Ausbildung würden sie dann schrittweise in den Teamunterricht integriert und schließlich im Masterstudium zu eigenem Unterricht befähigt. Eine solche Verzahnung von Theorie und Praxis erfordert sicherlich eine stärkere Kooperation zwischen Universität und Schule. Diese könnte sich aber neben einer Qualitätssteigerung auch in einer Verkürzung der Ausbildungszeit auszahlen. Bereits umgesetzte Modelle, wie zum Beispiel an der TU München, sehen eine Verkürzung des Masterstudiums und des Referendariats auf insgesamt drei Jahre vor.

Eine Verkürzung des Referendariats ist nicht die Lösung

Statt an den Strukturen des Studiums zu rütteln, empfiehlt die SWK eine flächendeckende Verkürzung des Referendariats auf 12 Monate. Eine praktische Ausbildung im Schnelldurchlauf kann aber nicht die Lösung sein. In vielen Bundesländern beginnen die Staatsexamensprüfungen bereits ein halbes Jahr vor Ende des Referendariats. Und aktuelle Studien berichten, dass bereits ein Drittel der Referendarinnen und Referendare Burnout-Symptome zeigt. Es ist zu befürchten, dass eine weitere Verkürzung die Belastung im Referendariat weiter erhöhen wird – selbst bei einer Reduzierung der Unterrichtsstunden, wie sie die SWK ebenfalls empfiehlt.

Jeder dritte Lehramtsabsolvent entscheidet sich nach dem Studium zunächst gegen das Referendariat.

Denn die eigentliche Belastung liegt nicht in der Unterrichtsverpflichtung. Sie liegt im immensen Leistungsdruck, der durch intransparente Prüfungen und subjektive Anforderungen der Seminarleitungen an eine „perfekte“ Unterrichtsstunde erzeugt wird – Anforderungen, die im späteren Schulalltag eigentlich nicht zu erfüllen sind.

Daten des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe zeigen, dass sich jeder dritte Lehramtsabsolvent nach dem Studium zunächst gegen das Referendariat entscheidet. Und je besser die Abschlussnote, desto eher wenden sich die Absolventen vom Lehrerberuf ab – sie haben andere Optionen. Um dem Lehrkräftemangel langfristig entgegenzuwirken, muss also nicht nur der Beruf attraktiver werden, sondern auch der Weg dorthin.

Drei Vorschläge für ein attraktiveres Referendariat

Ein Referendariat ohne Noten: Statt die im Referendariat erworbenen Kompetenzen auf eine Note zu reduzieren, könnte ein kompetenzorientierter Abschlussbericht, ähnlich einem Arbeitszeugnis, den aktuellen Entwicklungsstand der Lehrkraft ausführlicher beschreiben – und den Druck nehmen, in Prüfungsstunden den „perfekten“ Unterricht zeigen zu müssen. Dass Schulleitungen endlich ihr Personal selbst einstellen können, ist längst überfällig und ein solcher Bericht wäre eine bessere Grundlage für die Einstellung als eine Ziffernnote. Dabei kann das Staatsexamen als Instrument der Qualitätssicherung erhalten bleiben: Nur wer alle Prüfungsteile besteht, darf als Lehrkraft arbeiten.

Ein Referendariat der unterschiedlichen Geschwindigkeiten: In seiner jetzigen Form zwängt das Referendariat alle in ein Korsett – egal, ob es sich um einen Quereinsteiger handelt, der seit zwanzig Jahren keine Schule mehr betreten hat, oder um eine Lehramtsabsolventin, die während ihres Masterstudiums als Vertretungslehrerin gearbeitet und bereits eine Klasse geleitet hat. Statt einer einheitlichen Verkürzung des Referendariats, wie sie die SWK vorsieht, braucht es ein zeitlich flexibles Modell, das sich an den individuellen Bedürfnissen der angehenden Lehrkräfte orientiert – im Idealfall mit einem fließenden Übergang vom Studium ins Referendariat und in den Beruf.

Ein Referendariat, von dem man leben kann: Schließlich gilt es immer noch als selbstverständlich, dass die Bezahlung im Referendariat trotz Masterabschluss weit unter dem Mindestlohn liegt. Das muss nicht sein. Gerade für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die oft eine Familie zu versorgen haben und vorher deutlich mehr verdient haben, ist das eine Zumutung. Zum Vergleich: Im öffentlichen Dienst wird eine solche Ausbildung in der Regel mit einer Bezahlung nach E 13 – also rund 50.000 Euro brutto – honoriert. Wie es anders geht, zeigt wiederum Singapur. Dort erhalten alle angehenden Lehrkräfte ein Stipendium zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Die Höhe orientiert sich an dem, was man mit vergleichbarer Qualifikation und Berufserfahrung sonst im öffentlichen Dienst verdient. Eine faire Bezahlung ist ein Zeichen von Respekt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Schule 21“ der Bertelsmann Stiftung.

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